Berlin, 7. September 1742

Hochedelgebohrner Herr
Hochgeehrtester Herr Hofrath

Ew[er] Hochedelgeb[ohren] haben schon öffters gegen mich bezeuget, wie dieselben sehnlich wünschten, daß der allhier so sehr in Verfall gekommenen Astronomie wiederum aufgeholfen und die gewöhnlichen nöthigen Observationes angestellt werden möchten. Hierzu glaube ich nur Deroselben einen solchen Vorschlag thun zu können, wodurch das Observatorium, ungeacht der großen und weitläuffigen Calender Arbeit, womit die H[erren] Astronomi Ordinarii die meiste Zeit über beschäftiget sind, wiedrum einigermaßen in Gang gebracht werden können. Der H[err] Mag[ister] Kieß, welcher vor einiger Zeit aus Polen hieher gekommen, scheinet mir die zu diesem End erforderten Eigenschaften vollkommen zu besitzen. Denn da derselbe nicht nur in allen Theilen der Mathematic absonderlich aber in der Geometria sublimiori gründlich versiret ist, sonder auch wegen seiner ungemeinen Application und fähigen Ingenii in kurzer Zeit zu einem großen Grad der Vollkommenheit in diesen Wissenschaften gelangen kann, so würde man sich gewiß von demselben so wohl in der Theoria als Praxi Astronomiae sehr nützliche Dienste versprechen können. Obgleich nun derselbe aber unter sehr vortheilhaften Conditionen nach Polen zurückberuffen worden, so glaube ich doch, daß er sich entschliessen würde, mit einer geringen Pension von etlich hundert Reichsthaler allhier zu bleiben und sich völlig zum Dienste der Societät und der Astronomie zu wiedmen.
Weilen nun auf diese Art ohne große Unkosten die Astronomie allhier wiedrum auf einen guten Fuß bis zu fernerer Verordnung Ihro König[lichen] Majestät gesetzt werden könnte, so habe ich meiner Schuldigkeit zu seyn erachtet, solches Ew[er] Hochedelgeb[ohren] hiemit gehorsamst vorzustellen, der ich mich zu dero beständigen Wohlgewogenheit ergebenst empfehle und mit der schuldigsten Hochachtung lebenslang verharre

Ew[er] Hochedelgebornen
gehorsamster Diener
Leonh[ard] Euler