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L. Euler an die Kuratoren der Akademie über die Aufgaben der mathematischen Klasse

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Berlin, 8. Oktober 1745

Ein hochpreißliches Curatorium der Academie hat unter 25 Sept[ember] current[is] der Mathematischen Claße aufgetragen wegen künfftiger Verfertigung der Calender, welche der seel[ige] Professor Wagner besorgte, eine solche Einrichtung zu erfinden, daß die Academische Casse dabey keine Ausgabe habe. Die Möglichkeit einer solchen Einrichtung will durch folgende Gründe dargethan werden.
  1. Der seelige Kirch habe mehr als durch 20 Jahre neben den astronomischen Observationen, alle Calender, nur den Preußischen und Historisch-geographischen ausgenommen, allein verfertiget.

  2. Es befinden sich jetzo bei der Mathematischen Claße mehrere arbeitende Mitglieder, als damahlen, welche folglich diese Arbeit, dadurch ihre Besoldung erworben werde, auf sich nehmen können.

  3. Seyen noch außer der Jungfer Kirchin, welche schon eine pension genieße, noch zwey Adjuncti theils zur Calender-Arbeit theils zur Beyhülffe bey den astronomischen observationen angenommen worden, und über dieses werde der calculator Schumacher für die Verfertigung der Ephemeridum besonders bezahlet.
Auf diese angeführte Puncten haben wir nun in unterthäniger Antwort zu vermelden

ad 1. Der seelige Herr Kirch ist außer seinen astronomischen Bemühungen mit Calender Arbeit dergestalt beschäfftiget und überhäufft gewesen, daß auch seine Mutter und Schwestern ihre meiste Zeit damit zuzubringen genöthiget wurden; allein derselbe hat sich auch so wohl wegen der unerträglichen Last, als der so sehr geringen Besoldung, welche gegen seiner so schwehren Arbeit gar nicht proportionirt gewesen, beständig beklaget, und auch mehr als einmahl um seine dimission angehalten, worauf ihm auch immer zu einer billigen Zulage Hoffnung gemacht worden. Da nun der seelige Herr Kirch diese Arbeit nicht allein verrichtet hat, und seine Besoldung allzu gering gewesen, so ist es unmöglich hinführo eben diese Arbeit für einen gleichen Preis durch eine Person verfertigen zu laßen. Dieses bezeugt eben das Exempel seines Nachfolgers des seeligen Herrn Wagners, welcher durch die Calender-Arbeit fast gäntzlich außer Stand gesetzt worden, den astronomischen observationen obzuliegen, ob ihm gleich die Jungfer Kirchin noch die Arbeit nicht wenig erleichterte.

ad 2. Was ferner die nunmehr größere Anzahl der Mitglieder der mathematischen Claße betrifft, so ist nicht zu läugnen, daß wen der Endzweck dieser Claße einig und allein auf die Verfertigung der calender und die Erwerbung der revenues, aus welchen die übrige Claßen sollten unterhalten werden gerichtet wäre, dieselbe zu dieser Arbeit mehr als hinlänglich seyn würde. Da aber die Haupt-Absicht der Academie in der Untersuchung und Erfindung nützlicher Dinge in den Wißenschafften bestehet, und die mathematische Claße zur Erhaltung dieses Endzwecks eben so viel wo nicht mehr als die andere Claßen beyträgt, so ist ein großer Unterschied zwischen denjenigen Verrichtungen, welche zum Wesen der Academie gehören, und denjenigen, wordurch die Einkünfften erworben werden, zu machen, folglich kann die mathematische Claße mit eben so viel Recht als die übrigen solche besoldete Mitglieder verlangen, die einig und allein die Wißenschafften excoliren, und von der Calender-Arbeit befreyet sind. Damit an dieser Haupt-Absicht der Academie nichts verabsäumet werde, sind auch die Adjuncti angenommen worden, um durch die übernommene Calender-Arbeit die übrigen Mitglieder zu subleviren; Dahero können die Mitglieder dieser Claße ohne Verletzung des allervornehmsten Endzwecks der Academie mit mehrerer Calender-Arbeit nicht beschwehret werden.

ad 3. Sind zwar die beiden Adjuncti Naude und Grischau absonderlich zur Verfertigung der Calender angenommen worden, sie sind aber theils mit den Schlesischen, theils auch mit andern neu errichteten hiesigen Calendern schon allbereit dergestalten beschäfftiget, daß ihnen unmöglich die gantze Calender-Arbeit, die der seelige Wagner gehabt, kan aufgeleget werden, insonderheit da sie noch über diß mit der verdrießlichen Verfertigung der Jahr-Märckten beschwehret worden sind, welche Arbeit ehedeßen der Rendant verrichtete, die sich auch vor einen negotianten beßer schickt als vor Leute, die ihre besten Jahre mit der cultur nützlicher Wißenschafften zubringen sollen, die bekommen auch vor ihre gegenwürtige Bemühung eine so geringe belohnung, daß sie davor nicht einmal von ihren Eltern können unterhalten werden. Hinzu kommt noch, daß die Calender vor das Jahr 1747 welche man mit nächstem anfangen mus, umsonst zu machen sind, weil der Wittwen Wagnerin das Gnaden Jahr ist gnädig accordiret worden, dieser Arbeit wird sich nun Niemand unterziehen, der nicht eine gewiße versicherung hat, daß ihm die folgende Jahre der billigkeit gemäs bezahlet werden.
Wir können dahero einem Hochpreißlichen Curatorio der Academie nichts anders vorstellen, als daß die Verfertigung der Calender, die der seelige Wagner auf sich hatte, ohnmöglich ohne dazu einen ansehnlichen Theil der Wagnerischen Besoldung aufzuwenden, zu Stande zu bringen seye, damit davon denen Adjunctis, welche einen Theil dieser Arbeit auf sich nehmen werden, eine billige Zulage gemacht, und ferner die Jungfrau Kirchin, welche das übrige zu besorgen im Stande ist gebührend befriediget werden könne. Und weilen diese disposition ohne Nachtheil der Academie keinen Aufschub leidet, indem schon zukünfftigen Mertz Monat einige Calender-Arbeit geliefert werden mus, so wird ein hochpreißliches Curatoium die zum Calender-Wesen Verordnete Commission in den Stand zu setzen geruhen, daß die arbeit ohnverzüglich mit der dazu bestimmten belohnung ausgetheilet werden könne.
Wegen des calculatoris Schumachers haben wir noch unterthänig zu vermelden, daß derselbe zur berechnung neuer Ephemeridum angenommen, und diese hochnützliche Arbeit durch die Zeitungen schon bekannt gemacht worden: es liegen auch schon viele Ausrechnungen fertig, damit man den anfang zum Drucken machen könnte. Wenn also diese bey der Astronomie und dem Calender-Wesen unentbehrliche Arbeit nicht liegen bleiben soll, so kan dieser Mensch, welcher Tag und Nacht damit beschäfftiget ist, nicht das geringste von den Calendern auf sich nehmen; damit die nothwendigkeit seiner Beschäfftigung desto deutlicher erhelle, so hat man nur zu erwägen, daß die Calender nicht unmittelbar aus den astronomischen tabellen sondern aus denen daraus für alle Jahre berechneten Ephemeridibus verfertiget werden; dergleichen Ephemerides, deren man sich auch hier bedienet, hat Manfredi biß auf das Jahr 1750 berechnet und herausgegeben. Wenn also Niemand auf die fortsetzung dieser Ephemeridum für die nach 1750 folgende Jahre bedacht wäre, so müßte alsdann das Calendermachen entweder völlig unterlaßen oder unmittelbar aus den astronomischen tabellen gezogen werden, wozu nicht nur viel mehrere Leute erfordert, sondern auch die Unkosten jährlich zum wenigsten dreymahl größer seyn würden. In den vorigen zeiten, da die Astrologie noch im Schwang gieng, haben sich immer solche unverdroßene Rechner gefunden, die dergleichen Ephemerides auf die künfftige Jahre verfertiget haben, wobey auch die Verleger davon keinen geringen Vortheil hatten, da sie wegen des großen Vertrauens, so auf die astrologie gesetzt wurde, häufig abgiengen; munmehr aber, da außer den Astronomis und Calendariographis sich Niemand leicht Ephemerides anschafft, so ist diese schwehre Arbeit seit vielen Jahren unterlaßen wordem, wie sich denn auch bißher, so viel man weiß, noch Niemand gemeldet, der zum besten der astronomie und Calendariographie sich dieser weitläuffigen und verdrießlichen Rechnung unterzogen hätte, und da es schon bekannt gemacht ist, daß die Fortsetzung der Ephemeridum hier besorget werde, so ist desto weniger zu vermuthen, daß sich ein anderer auswärts daran machen werde. Der dazu angenommene calculator Schumacher ist auch zu dieser beschwehrlichen Arbeit dergestalt gebohren, daß kaum jemand zu finden seynt der mit gleichem Fleis und um einen so geringen Preis sie unternehmen würde. Mit der revision des Observatorii wird heute der anfang gemacht, wir werden nicht ermanglen, einem Hochpreißlichen Curatorio eine genaue Specification derer darauf befindlichen Instrumenten unterthänig einzulieffern.
Leonhard Euler

a Von der Hand des Akademieastronomen J. Kies, egh. unterschrieben von L. Euler

Archiv der BBAW, Bestand Preußische Akademie der Wissenschaften, I-VIII-7, Bl. 147-148